EU: Die faktische Abschaffung des Fernmeldegeheimnisses
Wir haben hier in Deutschland ein verfassungsmäßig garantiertes Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 Grundgesetz). Letzteres war zwar ursprünglich im Kontext des Telefons zu sehen, aber es steht außer Frage, daß sich das auch auf andere Formen der Fernkommunikation bezieht, angefangen von veralteten Technologien wie Telex, Teletex und Fax bis hin zu modernen wie E-Mail, Voice-over-IP, Videotelefonie und vor allem Chat-Dienste (Whatsapp und dergleichen), aber auch Social-Media-Dienste, sofern sie in geschlossenen Benutzergruppen stattfinden.
Geht es nach dem Willen der EU, ist bald damit Schluß. Zumindest sehen das Kritiker als Seiteneffekt der Maßnahmen, die die EU-Kommission plant und am 11. Mai nun vorgestellt hat. Schon im März sickerten diese Pläne durch, ich hatte am 19. März auf einen Heise-Artikel verlinkt.
Vorgeschoben werden – wie sollte es anders sein – die lieben Kinderchen. Wer wird da schon etwas dagegen haben? Die EU-Kommission behauptet, über elektronische Dienste wie Online-Chats würde immer mehr kinderporongraphisches Material ausgetauscht werden, und dagegen müsse man dringend etwas machen. Bei der nicht mehr ganz jungen Generation klingelt es, das kommt doch bekannt vor! Ende des 2000er Jahrzehnts hatte die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen versucht, im Internet DNS-Sperren zu errichten. Das konnte zum Glück damals noch so gerade verhindert werden (das Gesetz war schon durch, wurde dann aber nicht zur Anwendung gebracht). Ja, und heute ist genau diese Frau EU-Kommissionspräsidentin. Gibt es irgendjemand, der daran zweifelt, daß sie da bei den jetzigen Vorhaben ihre Finger im Spiel hat? Ich glaube nicht.
Diesmal bleibt es nicht auf DNS-Sperren beschränkt: Jetzt sollen die Inhalte überwacht werden. Da dies aufgrund der Nutzung von Kryptographie nicht durch das Abgreifen der Kommunikation funktioniert, sollen die Software-Hersteller dazu verpflichtet werden, ihre Programme so abzuändern, daß eine Inhaltskontrolle möglich ist. Der Benutzer lädt sich also selber seinen Spion aufs Mobiltelefon. Die Daten werden dann vor der Verschlüsselung oder nach der Entschlüsselung auf der Gegenseite überprüft. Dies soll durch einen automatischen Mechanismus erfolgen. Schlägt der an, werden Beweismittel gesichert und zum Dienstleister (also zum Beispiel Facebook) übertragen, der dann dazu verpflichtet ist, diese an die Behörden weiterzuleiten.
Wie dieser automatisierte Mechanismus funktionieren soll, ist noch nicht im Detail klar. Apple hatte aber schon mal einen derartigen Anlauf gemacht (das wurde zwar wieder aufgrund der öffentlichen Entrüstung eingestampft, hat aber den staatlichen Überwachungsfreunden die technische Machbarkeit demonstriert) und dabei mit Hashes (das ist laienhaft gesagt soetwas wie spezielle Quersummen) gearbeitet. Stimmt das Hash eines Bildes mit einem Hash von einem bekannten kinderpornographischen Bild überein, dann gilt das als ein Treffer. Auch andere Mechanismen könnten ins Spiel kommen, speziell welche, die auf der künstlichen Intelligenz beruhen. Aber egal welcher, es besteht immer die Gefahr eines »false positive«, also, daß das Bild vermeintlich als kinderpornographisch klassifiziert wird, obwohl es das gar nicht ist. Unternehmen und Behörden gelangen so zu Informationen, die sie gar nichts angehen und die auch nicht strafrechtlich relevant sind. Natürlich kann ein Algorithmus auch nicht unterscheiden, ob ein Bild von am Strand nackt herumlaufenden Kleinkindern von der Mutter an die Oma geschickt wird oder ob ein Pädophiler, der am Stand die gleiche Szene aufgenommen hat, dieses an seine Gleichgesinnten weiterschickt.
An dieser Stelle kommt nun die berühmte »cui bono«-Frage: Was wird wirklich damit bezweckt? Ich möchte hier an die von der EU lang gepflegte Taktik der kleinen Schritte erinnern, die 1999 der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verriet. Damit das nicht in Vergessenheit gerät, zitiere ich das hier nochmal:
Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.
Daher stellt sich die Frage, ob der Bruch des Fernmeldegeheimnisses nur ein Seiteneffekt ist oder nicht doch die eigentliche Absicht ist, und das hehre Ziel des Schutzes der Kinder nicht nur ein Vorwand ist. Ich halte zudem die Bekämpfung der Verbreitung kinderpornographischer Bilder zwar wichtig, aber ich hege große Zweifel daran, daß das einen wesentlichen Einfluß hat auf das eigentliche Problem, den tatsächlichen Mißbrauch der Kinder, der ihre Seelen und Körper so grausam verletzt. Ich habe zum Glück keinen Einblick in die Szene, aber ich vermute, daß die Taten im wesentlichen zum Befriedigen der kranken Triebe begangen werden, und nicht, um das fotografisch festzuhalten mit der Absicht, damit Geld zu machen.
Um auf die kleinen Schritte zurückzukommen: Die Überwachung läßt sich natürlich einerseits thematisch ausweiten. Bekannte Bilder von Ereignissen, angefangen von Greueltaten bis zu Demonstrationen, oder von einzelnen Personen, könnten zum Abgleich hergenommen werden, ohne, daß das dem Benutzer groß auffallen würde. Andererseits könnten die Regelungen in weiteren Schritten ausgedehnt werden und nicht nur Bilder analysiert werden, sondern auch das geschriebene oder gesprochene Wort.
Die Kritik und der Aufschrei zumindest unter den Fachleuten und Firmen ist groß, und das ist gut so, auch wenn von der Leyen als renitent merkbefreit gilt. Der letzte Pirat, Patrick Breyer, hat auch schon eine Klage angekündigt. Ich hoffe, der Widerstand dehnt sich auch noch aus. Es ist ganz klar ein Bruch der Grundrechte. Es ist eine anlaßlose Überwachung, ähnlich wie bei der Vorratsdatenspeicherung, nur meiner Meinung nach noch deutlich schlimmer. Die EU wird zur INGSOC, der Partei und dem Staatsapparat (das ist ja im Sozialismus ein und dasselbe) aus George Orwells 1984, die jeden Menschen komplett überwachen.
Quellen:
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Heise: Chatkontrolle und Websperren: EU-Kommission legt »die Axt an die Grundrechte«
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Junge Freiheit: EU-Kommission plant allgemeine Chatkontrolle im Internet
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wer will, kann selber noch bei netzpolitik.org suchen; da mir die mittlerweile zu links sind und extremes Gendern betreiben, habe ich beschlossen, nicht mehr dorthin zu verlinken; sie haben noch einige ablehnende Statements von Fachleuten eingeholt
Update 17.5.: Ergänzungsartikel bei Heise mit Statements von Verkehrs- und Digitalminister Wissing sowie anderer Institutionen und Personen
Update 20.5.: Heise: Auslegungssache 62: Massenüberwachung mit »Chatkontrolle«? (Artikel/Podcast)
Update 21:5.: Heise: Chatkontrolle: Justizminister Buschmann ist gegen flächendeckende Überwachung
Update 22.5.: Heise: Messenger-Überwachung: Innenministerin Faeser jetzt doch gegen Chatkontrolle