19. Juni 2020
Juni 202019

Noch mehr Scheindemokratie

Es reicht offenbar nicht, daß wir mit dem Petitionsrecht bereits ein nahezu machtloses und in der Regel vom Wohlwollen des Petitionsausschusses abhängiges Instrument der Demokratie haben – die Ausnahmen sind das Erreichen des Quorums, damit das Thema im Bundestag besprochen werden muß (mehr aber auch nicht), beziehungsweise Themen, die im Interesse der Regierung sind (wie z.B. das Thema mit der Steuerbefreiung für Damenhygieneartikel).

So hat gestern der Bundestag einen sogenannten Bürgerrat ins Leben gerufen. 160 per Zufall ausgewählte Bürger sollen drei Wochenenden diskutieren und Vorschläge an den Bundestag erarbeiten. Das ist natürlich völliger Unfug, aus mehreren Gründen. Wichtigster Grund ist, daß es hier seitens des Bundestags überhaupt keine Verbindlichkeiten gibt, nicht mal soviele wie bei der Petition. »Gut, daß wir darüber geredet haben«, und ab in die Akten, mehr wird das nicht sein.

Außer nämlich – das ist der zweite Grund –, daß so ein Rat leicht gesteuert werden kann. Ein so völlig zusammengewürfelter Haufen bräuchte ohne Führung schon mal die gesamte zur Verfügung stehende Zeit, um sich zu organisieren. Folglich kann man davon ausgehen, daß eine gewisse Führung da sein wird. Und da bestehen schon Eingriffs- und Lenkungsmöglichkeiten. Man könnte zum Beispiel Themen abwürgen mit dem Argument, sie würden den »sozialen Frieden stören«. Migration, der totalitäre, demokratiefeindliche Herrschaftsanspruch des Islam oder die Geldpolitik, der Euro fallen mir da ein. Auch andere »Argumente« lassen sich einbringen, um gewisse Themen von vorneherein auszuschließen. So manipuliert ließe sich so ein Rat leicht instrumentalisieren, um irgendein Thema als »vom Volk« priorisiert darzustellen, das dann umgehend von der Bundesregierung öffentlichkeitswirksam bearbeitet wird. Und wenn das nicht hilft, werden halt ein paar Strohmänner und -frauen da in diesen Rat plaziert, wenn nicht gleich alle handverlesen sind. Wer sollte es denn schon kontrollieren? Und die Datenschutzgrundverordnung wird dann bestimmt noch herangezogen, um die Identität der Leute geheimzuhalten.

Der dritte Grund ist, daß 160 Leute schlicht zu wenig sind. Jede billige Umfrage bedient sich heute mindestens 1.000 Probanden, um sich »repräsentativ« schimpfen zu lassen, und das sehen schon manche Kritiker als zu wenig an. Und hier nimmt man gerade mal ein Sechstel davon? Es sind auch keine Repräsentanten im Sinne der Demokratie, keine, die von den restlichen 80 Millionen Bürgern in irgendeiner Art und Weise autorisiert sind. Es ist nicht der Souverän – das »Volk« –, der sich durch diesen Rat äußert.

Nein, das ist ein politisches Ablenkungsmanöver, Blendwerk, Scheindemokratie. Ein demokratisch wirkungsloses Mittel, mit dem der Bundestag die immer weiter um sich greifende Politikverdrossenheit bekämpfen will. Das wird ihr aber damit hoffentlich nicht gelingen. Sicher wird es ein paar Leute geben, die sich davon beeindrucken lassen, aber das dürften in der Regel eh die Merkelbeklatscher und EU-Phantasten, die diese auch für demokratisch erachten, sein. Wirklich notwendig wäre hingegen die Einführung des schon lange geforderten Volksentscheids (nicht -begehren) auf Bundesebene, wie in der Schweiz, und zwar mit niedrigen Hürden. Und über alle Themen, auch und insbesonders über kontroverse, denn zum Händchenhalten brauchen wir auch keinen Volksentscheid.

Nachtrag: Ich lese gerade, daß das Thema jeweils vorgegeben wird und das erste Thema »Deutschlands Rolle in der Welt« sein soll. Mehr Ferne von realen Problemen der Bürger kann man sich kaum vorstellen! Einfach nur ein lächerliches Schauspiel, pfui!