13. Februar 2019
Februar 201913

#NieMehrCDU

…gilt für mich schon lange. Aber gerade prasselt auf Twitter ein Shitstorm mit diesem Hashtag nieder, nachdem die EU heute im (illegalen) Trilog-Verfahren beschlossen hat, eine strenge Haftungspflicht für Internet-Plattformen bezüglich Urheberrechtsverletzungen einzuführen, die dann in Aktion tritt, wenn die Plattformen weder Lizenzverträge mit allen Rechteinhabern abschließen noch Zwangs-Upload-Filter installieren. Letzteres entspricht im Prinzip einer Vorzensur. Soetwas ist zwar im Grundgesetz (Artikel 5, Absatz 1, Satz 3) verboten, betrifft im Prinzip aber nur den Staat und nicht die Privatwirtschaft. Da hier aber hier der Staat (der die Richtlinie in nationales Gesetz umsetzen muß) zu so einer Vorzensur praktisch zwingt, ist das schon nicht unproblematisch. »Flucht ins Privatrecht« nennt man übrigens diese Art der Delegation staatlichen Handels zu der Privatwirtschaft. Das Netzdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von Heiko Maas (SPD), das auch als Mittel zur Einschränkung der Meinungsfreiheit empfunden wird, ist so ein Beispiel.

Weiterhin wird das Leistungsschutzrecht, das es schon in Deutschland und Spanien gibt, auf die gesamte EU ausgedehnt. Hierbei sollen Suchmaschinen und andere kommerzielle Anbieter Lizenzen zahlen, wenn sie auf jüngere (jünger als zwei Jahre oder so) journalistische Beiträge verlinken und dabei den Titel oder einen Kurzauszug zitieren. Bislang galt das Zitieren als legal und die gängige Rechtsprechung sieht eine Verlinkung nicht als Urheberrechtsverletzung an (Ausnahme: tiefe Verlinkung von Bilder o.ä.). Das ganze geht aber noch perverser: Es ist heute usus, technisch orientierte URLs zu vermeiden, also z.B. so häßliche wie »http:‌//example.com/page.php?no=1248473&uid=4712«. Stattdessen nutzt man leserfreundliche URLs (Fachbegriff »clean URL« oder »URL slugs«), die zumindest zum Teil aus dem Titel der Seite konstruiert sind, also z.B. »http:‌//example.com/unfree-eu-sucks« – so, wie meine Blog-Software das auch macht. Nun sollen angeblich genau diese Titelwörter in der URL dann auch noch lizenzpflichtig sein!!! Eine weitere Perversion ist, daß vorgeblich die Lizenzeinnahmen den Autoren zugute kommen sollen, praktisch aber durch die Knebelverträge zwischen Autoren und Medienunternehmen das ganze Geld bei letzteren landen wird. Obwohl die Existenz dieser Knebelverträge hinlänglich – auch in der EU-Politik – bekannt ist, gibt es im geplanten Leistungsschutzrecht keine Vorkehrungen dagegen. Man sieht: Ergebnis zielgerichteter Lobbyarbeit.

Beides – das strenge Urheberrecht und das Leistungsschutzrecht – gehen nicht unerheblich auf die Bemühungen von Günther Oettinger (CDU) in seiner damaligen Position als EU-Digital-Kommissar und auf Axel Voss (CDU), EU-Parlamentsabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für diese Richtlinie zurück. Beide sollen der Medien-Industrie sehr nahe stehen, unsanfte Menschen würden sie vermutlich als Lobbyhuren bezeichnen. Auch Nochbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat offenbar ihre Finger im Spiel, denn Deutschland hat im EU-Rat diesem Entwurf zugestimmt – entgegen dem Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD. Ohne ein Placet von oben wäre das bestimmt nicht gegangen. Zwar ist es nicht so, daß die SPD große Bauchschmerzen zu dieser neuen Richtlinie geäußert hätte, und ihre Abgeordneten im EU-Parlament werden das vermutlich mittragen (Verräterpartei, halt wie üblich…), aber das erklärt, warum sich gerade ein Wutschwall über die CDU ergießt.

Ob das ein kluger Schachzug der CDU war, wird sich noch herausstellen. Während bislang hauptsächlich die Älteren der CDU den Rücken gekehrt haben wegen der Merkelschen Einwanderungs- und EU-Finanzpolitik, vergrätzt sie mit den Upload-Filtern und den damit zu erwartenden Einschränkungen gerade massiv eine andere Wählerschicht – die der jungen, internet-affinen Menschen. Die sind zwar jetzt vermutlich nicht mehrheitlich CDU-Wähler, sondern eher weiter links anzusiedeln (Grüne, SPD, Linke), aber dennoch könnten am Ende entscheidende Prozentpunkte für eine Regierungsbildung mit der CDU verlorengehen. Daß es nicht wenige sind, die sich daran stören, mag man an den rund 4,8 Millionen Unterstützern einer Petition auf Change.org – Tendenz steigend – ablesen.

Und was das Leistungsschutzrecht betrifft, hoffe ich, daß Google sich gegen die Lizenzzahlungen entschließt und mit ihnen alle anderen relevanten Player auch (sofern es die gibt). Google hat ja bereits angedeutet, daß dann der News-Dienst für Europa eingestellt wird. Nach den Formulierungen, die bislang in den Beschreibungen der Richtlinie verwendet wurden, sind aber nicht nur News-Aggregatoren von dem Leistungsschutzrecht betroffen, sondern alle Webangebote bis auf private und nichtkommerzielle. Somit wäre (neben Facebook, Twitter & Co.) auch die Google-Suchmaschine selbst betroffen. Wäre das nicht phantastisch, wenn an dem Tag, an dem die Richtlinie final beschlossen wird – sofern sie nicht noch im letzten Moment abgeblasen wird - Google alle Medien auslisten würde? DIE langen Gesichter möchte ich dann sehen. Und vor allem wäre das vor der EU-Parlamentswahl, d.h. die Bürger könnten direkt erfahren, was die ach so tolle EU alles für sie tut und das in ihre Wahl einfließen lassen…

Nachtrag: Golem hat ein paar Details veröffentlicht und auch EU-Dokumente verlinkt. Ich habe ein paar Daten aktualisiert. Unklar ist mir noch, ob das, was ich zu den »Clean URLs« geschrieben habe, tatsächlich so gilt – der EU-Text schreibt »The protection granted under the first subparagraph [Ed: das Leistungsschutzrecht] shall not apply to acts of hyperlinking« – was immer das jetzt exakt heißen mag. Betrachtet man Hyperlinking als Klicktext + URL, dann wäre das ganze unwirksam…!

Nachtrag II: Heise versteht das auch nicht…

*Nachtrag III: Echo auf den Beschluß bei Heise